Aus Eins mach Zwei

Ev. Kirchengemeinde Niederwenigern feiert ihre erstaunlich neue, alte Kirche –
Frust, leise Verzweiflung und eine Prise Wut – so ungefähr war die Stimmungslage in dem beschaulichen Hattinger Ortsteil, als klar wurde: Das bereits fertig geplante neue Gemeindehaus lässt sich nicht realisieren. Jetzt, zwei Jahre später, ist die evangelische Gemeinde Niederwenigern besser für die Zukunft gerüstet als man sich erträumen konnte.
Die schmucke kleine Kirche im Ort, an drei Seiten vom Friedhof umgeben, könnte von außen betrachtet als Kulisse für einen englischen Krimi dienen. Im Inneren müssten Inspektor Barnaby, Miss Marple und Co. aber erstmal ermitteln: Auf der einen Seite der Grundstein von 1874 und viele schöne Elemente eines Kirchbaus aus eben dieser Zeit. Auf der anderen Seite ein nagelneuer, schlichter Altar in hellem Holz, in dem in einer Art Schublade die Taufschale von 1880 auf ihren nächsten Einsatz wartet. Wie passt das zusammen? Im Kirchenschiff zwei Arten von Stühlen: Die einen sind miteinander verbunden, kein Mittelgang, die anderen sind stapelbar und können, wenn Freiraum gebraucht wird, jederzeit in dafür passenden Schränken verschwinden. Entlang der Wände in Kirchenschiff und Altarraum Bänke, die viel Stauraum bieten.
Neue Möglichkeiten
Wenn Freiraum gebraucht wird? Ja, alles passt sehr gut zusammen und die Kirche ist nun ganz anders nutzbar. Die starren Bänke sind verschwunden, und die neuen Möbel lassen sich ohne großen Aufwand so stellen, wie es für Kino, Konzerte, Feste, Tanz und Feiern gerade nötig ist.
Natürlich kann man auch einen Mittelgang stellen, durch den frisch Vermählte feierlich aus ihrer Traukirche entlassen werden können. Und dabei – aufgepasst, Miss Marple – schreiten sie, ohne es zu merken, feierlich gleichsam durch das neue Gemeindehaus. Denn das liegt jetzt zwischen Kirchenschiff und Aus- bzw. Eingang der Kirche und ist ein kleines Raumwunder. Überall kann man etwas klappen und zur Seite schieben, und zum Vorschein kommen neben Gesangbüchern und anderen erwartbaren Dingen eine kleine Kücheneinrichtung samt Spüle und XXL-Kaffeemaschine, und jede Menge Stauraum für alles, was eine Gemeinde so braucht.
Beim Empfang nach dem Festgottesdienst standen hier Tische, die für das Buffet genutzt wurden, an anderen Tagen sitzt am selben Ort zum Beispiel das Presbyterium. Dann kann der Raum durch Vorhänge vom Kirchenschiff abgetrennt werden, die sonst in den wie der neue Altar in hellem Holz gehaltenen Einbauten unsichtbar verschwinden. Sogar an Gespräche in ganz kleinen Rahmen ist gedacht: Zwei (natürlich frei verschiebbare) kleine Sofas sind an jeweils drei Seiten von hohen, schallschluckenden Wänden umgeben, so dass man sich wie in einem eigenen Raum fühlt, wenn man beide Elemente gegenüberstellt.
Zufriedene Gesichter also bei der Einweihung der so schön und zukunftsweisend eingerichteten Kirche. „Ich wage mal die steile These,“ so Pfarrer Ludwig Nelles in seiner Predigt, „dass Konzerte, Kino und andere Gelegenheiten, wo Menschen zusammenkommen, eine andere Art von Gottesdiensten sind, wenn hier in diesem Haus Gottes Menschen zusammenkommen, wo er, Jesus, sie mit ausgebreiteten, einladenden Armen gastfreundlich empfängt.“
Zukunftsweisendes Konzept
Mit Blick auf die vielfachen neuen Nutzungsmöglichkeiten der Kirche erinnerte Superintendentin Julia Holtz an die drei Säulen im Leben Jesu – Lehre, feiern, heilen – und sah ideale Voraussetzungen, es ihm an diesem Ort nachzutun. Sie wünschte der Gemeinde „Gottes Segen für die vielfältigen Möglichkeiten, das Evangelium zu kommunizieren.“
Innenarchitektin Gudula Be-Pechold war voll des Lobes für die Kirchengemeinde Niederwenigern und ihr Presbyterium. Sie bescheinigte ihr Mut, Offenheit und die Fähigkeit, sich auch bei Hindernissen nicht unterkriegen zu lassen. In ihrem Blog https://www.be-pechhold.de/blog/kirche-neu-gedacht/ bekommt man einen Eindruck davon, wovon sie spricht, und wie letztlich Lösungen für alle Herausforderungen gefunden wurden.
Für die meistgestellte Frage des Tages, ob denn auch die Decke der Kirche neu gestrichen worden sei, bedurfte es übrigens keinerlei kriminalistischen Spürsinns: Unter der Decke und in den Ecken befindet sich jetzt moderne Beleuchtungs- und Projektionstechnik. Zum Festtag wurde ein florales Muster unter die Decke der Kirche projiziert, das so dezent war, dass man es für einen neuen Anstrich halten konnte. „Es wird alles per Tablet gesteuert“, erläuterte Be-Pechold, „und man kann für die unterschiedlichen Nutzungsarten der Kirche verschiedene, bereits vorbereitete Profile auswählen – oder alles selbst steuern.“ Hört sich an, als würde damit auch Miss Marple zurechtkommen, wenn sie mal vorbeischaut.
(Hans-Martin Julius)