„Nicht wie du tanzt ist wichtig, sondern dass du tanzt!“
Das Tanztheater Abrakadabra und seine beiden Gründerinnen im Porträt
– Da sitzen die zwei Frauen, die das Tanztheater seit Jahrzehnten leiten, und giggeln, als wären sie höchstens 15. Julia Kast und Elisabeth „Lisa“ Hieb schauen gemeinsam zurück auf harte und auf gute Zeiten. Immer wieder prusten sie los, wenn sie sich gemeinsam an schöne Geschichten, Zufälle und andere Begebenheiten mit ihrem Tanztheater erinnern. Im vergangen Jahr ist das Tanztheater Abrakadabra 30 geworden, und vielleicht, vielleicht folgen ja noch weitere 30 Jahre.

(Foto: Tanztheater Abrakadabra)
Doch zurück zum Anfang: 1990. Die 23-jährige Julia kommt aus Tadschikistan nach Deutschland, die 16-jährige Lisa Hieb mit ihren Eltern aus Kasachstan. Beide lernen sich bei russlanddeutschen Freunden kennen, als Julia ein Nikolausfest organisiert. „Wir haben Märchen gespielt – mit Kindern für Kinder“, erinnert sich Julia Kast, „und daraus wurde etwas Regelmäßiges.“ Beim nächsten Mal war auch Lisa Hieb mit dabei. „Alle drei Monate gab es dann so ein Fest. Für Russlanddeutsche und Freunde.“ Damit jeder wenigstens ein bisschen davon versteht, schrieben sie Texte in einer wilden Mischung aus Russisch und Deutsch und lachten sich dabei halb tot. „Grammatikalisch war das ziemlich abenteuerlich, denn wir wollten auch, dass sich alles reimt“, erzählen die beiden und müssen schon wieder lachen.
„Zuerst waren wir in St. Franziskus. Pfarrer Kunze und seine Frau haben uns angesprochen und Probenräume zur Verfügung gestellt. Später haben wir in der Oberkrone gewohnt, als Hausmeister und Putzfrau, und unten war Platz für die Proben“, so Julia Kast. Das ehemalige evangelische Gemeindezentrum in der Oberkrone gehört bis heute zur Trinitatisgemeinde, und zwar als Kultur- und Veranstaltungszentrum Krone, das von einem Förderkreis verwaltet und gepflegt wird.
Mit den Probenräumen war auch die Grundlage dafür geschaffen, Kinder aufzunehmen und regelmäßig und ernsthaft mit ihnen zu proben. Aber wie sind sie auf die Idee gekommen zu tanzen? Julia Kast: „Die Kinder sollten Spaß haben. Für die russlanddeutschen Kinder war es ein Zufluchtsort und ein Ort zum Wohlfühlen. Lisa und ich haben als Kinder selbst getanzt. Und fürs Tanzen muss man nicht sprechen.“
Manchmal kamen die Kinder nach dem Training auch mit ihren Sorgen zu den beiden Frauen, obwohl oder weil Lisa und Julia beim Üben immer ganz klare Ansagen gemacht haben und Regeln hatten. „Die ersten Kinder bei Abrakadabra waren die Kinder unserer Freunde. Es war mit den Eltern verabredet, dass wir den Kindern während der Proben auch klar sagen können, was dran ist und was nicht.“ Dabei ist es bis heute geblieben.
„Die Kinder brachten bald ihre Freunde mit. Es kamen deutsche Kinder und Kinder aller Nationen. Daraus haben sich viele Freundschaften ergeben, über alle kulturellen Grenzen weg“, schauen Julia und Lisa zurück. „Zu uns kann jede und jeder kommen, der singen oder tanzen möchte. Wir suchen Kinder nicht aus! Wenn sie nicht perfekt tanzen, ist das nicht schlimm. Sie stehen dann nur vielleicht nicht in der allerersten Reihe. Die Hauptsache ist, dass das Kind Lust hat, mitzumachen. Niemand wird zu etwas gezwungen.“
Über die lange Zeit ist eine verschworene Gemeinschaft gewachsen, die sich immer auch über Neuzugänge freut. Den Märchenaufführungen folgten Shows, zum Beispiel 2001 die Unicef-Benefiz-Gala, und Musicals („Maulis Geschichte“, 2002; „Westside Story“, 2003). „Mit „Trotz allem“ hatten wir Auftritte bis nach Frankfurt. Die Eltern haben uns immer unterstützt und sind einfach mitgekommen“. Julia Kast kramt einen prall gefüllten, großen Ordner hervor, in dem sie alles zu den vielen Projekten gesammelt hat, die bis jetzt gelaufen sind. Immer mit dabei sind Irina Frank, die Gesang unterrichtet, und Choreografin Natalia Cravo Fereirra. Und die Geschichte setzt sich fort: Kristina Vogel und Viktor Masyukov zum Beispiel haben als kleine Kinder getanzt. Jetzt kümmern sie sich als Erwachsene um die Technik beim Tanztheater. Oder Sergej Marulin, der als Vater zu den Abrakadabras kam und inzwischen die Videos der Gruppe produziert.
Ende des vergangenen Jahres haben sie ihr Jubiläum groß gefeiert. Im wie immer, wenn das Tanztheater einlädt, voll besetzten Wittener Saalbau zeigten die verschiedenen Generationen ihr können. Auch etliche junge Erwachsene waren noch einmal dabei, die vor vielen Jahren als kleine Kinder beim Tanztheater Abrakadabra angefangen hatten. Dabei fallen die Produktionen immer wieder durch ihre unglaubliche Professionalität auf. Das Publikum ist begeistert von dem Spaß, den die Kinder bei den Auftritten rüberbringen. „Wir hätten nie gedacht, dass wir so viel machen werden“, meint Lisa, „und so lang, mit so vielen Kindern!“
In diesem Jahr steht „What a Wonderful World“ auf dem Programm – kein Musical, sondern eine ganz besondere Ausstellung, die die Abrakadabra-Handschrift trägt. „Wir wollen einfach zeigen, wie toll die Welt ist!“, laden Lisa und Julia ein. Die verschiedenen Räume der Oberkrone werden vollgepackt sein mit Kreativität, mit Theater, Tanz und Gesang.
Einen Wunsch haben Julia Kast und Lisa Hieb noch: „Es wäre so schön, wenn alles noch ein paar Jahre weiterlaufen könnte. Die ganzen Werte, der ganze Spaß – sie sollen noch ein bisschen weitergehen.“ Wie in anderen Bereichen auch, werden auch dem Tanztheater Abrakadabra Fördergelder gestrichen und müssen durch neue aus anderen Töpfen ersetzt werden. Hier unterstützt der Kirchenkreis Hattingen-Witten, denn, wie Superintendentin Julia Holtz jetzt beim Abrakadabra-Sommerfest sagte, ist das Tanztheater „so bunt – ein Fest der Vielfalt und Kreativität!“
(hmj)